Digitalisierung & Innovation, SI 7/2023
Christian Tamegger im Interview: „Auch Saatgut kann innovativ sein“
SI: Herr Tamegger, inwiefern ist bei Naturprodukten Innovation möglich?
Christian Tamegger: Innovationsführer sein bedeutet Vorreiter sein. Die Genossenschaft KÄRNTNER SAATBAU gibt es seit fast 70 Jahren – und hat schon früh auf die Themen Umweltschutz, Artenvielfalt, Regionalität und Nachhaltigkeit gesetzt. Schon die Saatgutauswahl entscheidet über den Erfolg.
Deshalb produzieren wir von der KÄRNTNER SAATBAU genau jenes Saatgut, welches den spezifischen Anforderungen unserer zahlreichen Kunden und Partner am besten entspricht.
Zusätzlich und aus Überzeugung unterstützen wir unsere Kunden laufend durch neueste Erkenntnisse aus unseren unternehmenseigenen Forschungs- und Versuchstätigkeiten.
Christian Tamegger
Leiter „Neues Grün“ bei KÄRNTNER SAATBAU
Also ist Innovation Teamarbeit?
Durchaus. So unterstützt uns eine langjährige, erfolgreich gelebte Partnerschaft mit der Kammer für Land- und Forstwirtschaft Kärnten in unserem Bestreben, gesunde und erfolgreiche Sorten für unsere Bauern zu produzieren.
Dazu stehen wir auch in intensivem Kontakt mit allen österreichischen, aber auch mit den wichtigsten europäischen Pflanzenzüchtern.
Neben der Produktion von landwirtschaftlichen Saatgut haben wir auch eine lange Tradition und viel Erfahrung in der Produktion und Vermehrung von regionalem und standortsangepasstem Saatgut für die alpinen Regionen Zentraleuropas und für die extensiven Grünlandflächen.
Hier produzieren wir eine Vielzahl von alpinen Gräsern und Leguminosen, Wildblumen und Kräutern, die in verschiedensten Begrünungsmischungen Verwendung finden. In diesem Bereich gibt es eine intensive Zusammenarbeit mit der Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Landwirtschaft Raumberg-Gumpenstein.
Welche Rolle spielt dieser Fokus auf alpine Höhenlagen?
Neben der Landwirtschaft haben wir schon 1990 die Sparte „Neues Grün“ aufgebaut. Die Spezialisierung auf alpine Höhenlagen ermöglicht uns, innovativ auf die schwierigen Bedingungen einzugehen, denen das Saatgut etwa in hoch gelegen Skigebieten ausgesetzt ist. Unter der Marke ReNatura® bieten wir eine große Vielfalt an reinem Wildpflanzensaatgut an.
Der Schotterrasen
für Parkflächen dient als grüne Alternative zum Asphalt. © Urstöger
Saatgut ist nicht gleich Saatgut?
Nein, je nach Höhenlage, saurem oder basischem Ausgangsgestein, Böschung oder Fläche, Skipiste oder Stationsbereich gibt es spezielle Mischungen. Auch der Wunsch nach einer Blumenwiese – etwa für den Sommertourismus – spielt eine Rolle.
Mit Kräutermischungen kommen auch die Almbauern auf ihre Kosten, wenn sie im Sommer ihre Kühe auf einer artenreichen Weide grasen lassen können. Selbst für Schotterrasen bieten wir Saatgut an – als belastbare und versickerungsaktive Alternative zur Begrünung von Parkflächen.
Diese Individualität macht uns zum Vorreiter in der Branche.
Was unterscheidet ReNatura noch von handelsüblichem Saatgut?
Die klimatischen Bedingungen in höheren Regionen sind schwierig. Schlechte Bodenverhältnisse erschweren Begrünungsversuche noch weiter. Damit es trotz dieser anspruchsvollen Rahmenbedingungen zu einer ausdauernden Vegetation kommt, benötigen wir eine standortgerechte Saatgutmischung.
Die aus unseren Alpinmischungen hervorgehende Vegetation ist ausdauernd und stabil, Zusatzbelastungen wie Skipistenbetrieb werden mühelos ertragen.
Sie bilden bis in Seehöhen von 2.400 Metern reifes Saatgut, welches nach dem Entstehen von Bestandslücken keimen und diese wieder schließen kann. Die handelsüblichen Tieflagenarten können hingegen in der kurzen Vegetationszeit der Hochlagen keine reifen Samen ausbilden.
Stichwort Umweltschutz. Inwiefern sind Sie hier führend?
Schon lange produzieren wir unser landwirtschaftliches Saatgut auf mehr als 30 Prozent unserer Vermehrungsflächen biologisch. Zudem legen wir großen Wert auf die Biodiversität.
Unser gesamtes Wildpflanzensortiment wird nach dem „Gumpensteiner Herkunftszertifikat“ (G-Zert) zertifiziert und setzt auf Transparenz und nachvollziehbarer Gestaltung bei dem Saatgut.
Durch das G-Zert wird die Herkunft, Regionalität, Produktion, Mengenfluss und Generationenfolge des Saatgutes bis zum Endverbraucher hin transparent und nachvollziehbar gestaltet und geprüft.
Das G-Zert ermöglicht so die Erhaltung einheimischer Wildpflanzen in ihren ursprünglichen Lebensräumen mit ihrer genetischen Vielfalt.
Was bedeutet das konkret?
Regionale Gräser und Kräuter nach G-Zert stammen direkt aus einer Wildsammlung oder aus daraus vermehrten Samen, die auf dafür speziell angelegten Vermehrungsflächen weiter vermehrt werden.
Saatgut regionaler Gräser und Kräuter ist dabei ausschließlich und nachweisbar auf Pflanzen zurückzuführen, die sich aus Sammelbeständen gebietseigener Pflanzenarten aus einer streng definierten Herkunftsregion über einen langen Zeitraum in vielfachen Generationsfolgen vermehrt haben.
Inwieweit profitieren davon auch die Tiere?
Bei Verwendung von exotischen Blühmischungenfinden Insekten keine ausreichende Nahrung mehr, da diese nicht auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet sind. weshalb werden unsere Produkte regional zugeschnitten und wirken so gegen Nahrungsknappheit und Verdrängung regionaler Pflanzen.
Zudem bieten sie Lebensraum für heimische Insekten. Für einen gelungenen Einsatz von insektenfreundlichen Blühmischungen gilt es, Standort, Klima und Nutzung bei der Auswahl zu berücksichtigen.
Ziel bei der Zusammensetzung solcher Mischungen muss auch eine kontinuierliche Versorgung der Insekten mit Pollen und Nektar sein, speziell im Zeitraum von Juni bis Oktober, wo der größte Nahrungsmangel herrscht.