Das Seilbahn-Unglück aus technischer Sicht

Der tragische Absturz einer Kabine der Seilbahn Stresa-Alpino-Mottarone hat am Wochenende nicht nur die Massenmedien bewegt. Doch wie ist das Unglück seilbahntechnisch zu beurteilen?

14 Tote, ein schwerverletztes Kind und eine zerstörte Gondel – die Folgen des Seilbahnunglücks vom Samstag, 22. Mai 2021, sind dramatisch. Die Ursachen des Unfalls sind noch unklar, die italienische Staatsanwaltschaft ermittelt, technische Experten sind vor Ort.

Nach Angaben der Bürgermeisterin von Stresa, Marcella Severino, bewegte sich die Gondel kurz vor der Endstation (rund 100 Meter) plötzlich wieder rückwärts.

Medienberichten zufolge wurde sie immer schneller, prallte gegen einen Stützpfeiler, stürzte etwa 15 Meter in die Tiefe und dann noch einen Teil des Abhangs hinunter, bis sie schließlich gegen einen Baum krachte.

Laut einem Carabinieri-Kommandeur habe sich offensichtlich ein Teil des Zugseils gelöst. Daraufhin rutschte die Gondel rückwärts das Tragseil hinunter.

Übereinstimmenden Medienberichten zufolge soll also das Zugseil gerissen sein – und zugleich die Tragseilbremse versagt haben.

Technische Daten:

Seilbahn Stresa-Alpino-Mottarone

Ort Stresa
Region Piemont, Italien
Hersteller Piemonte Funivie
Baujahr 1970
Generalrevision 2016
Talstation 803 m
Bergstation 1.355 m
Streckenlänge 2.998 m
Stützen 3
Kabinen (je 47 P.) 2
Förderleistung 390 P/h

Quelle: Lift-World.info

Und die andere Kabine?

Einem Video von local team zufolge hat bei der zweiten Kabine die Tragseilbremse funktioniert, die Gondel kam kurz vor der Station zum stehen. Die im Laufwerk angebrachten Bremszangen  haben dort offensichtlich wie vorgesehen auf die Tragseile gewirkt und die Kabine sofort angehalten, um ein unkontrolliertes zu Tale Rasen oder Abstürzen zu verhindern.

Auf mehreren Bildern ist zudem das Tragseil zu sehen, es scheint intakt zu sein.

Nach wie vor rätselhaft ist, warum die Bremsen der oberen Gondel offensichtlich nicht funktioniert haben. Sie hätten sich automatisch aktivieren müssen, um beim Riss eines Seils ein Abrutschen zu verhindern.

Jede moderne Seilbahn besitzt zumindest eine doppelte Absicherung. Zwei Seile, das Zug- und das Tragseil, sowie ein Bremssystem, das automatisch aktiv werden müsste, wenn es Probleme mit den Seilen gibt.

Dass es zwei technische Versagen gleichzeitig gibt, ist ungewöhnlich – eine Tatsache, die die Ermittler bislang vor Rätsel stellt.

Video von Localteam

Die zweite Gondel kam offensichtlich vor der Zwischenstation zum stehen, das Zugseil hängt herab

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Letzte Seilprüfung im November 2020

Auch der Seilbahnhersteller Leitner, der die mehr als 50 Jahre alte Bahn der Firma Piemonte Funivie  2016 einer Generalrevision unterzogen hat, will alles unternehmen, um diese Tragödie so rasch wie möglich aufzuklären.

„Wir sind zutiefst erschüttert und in Gedanken bei den Opfern und Hinterbliebenen des schrecklichen Unglücks“, so Leitner in seiner Stellungname.

Bei der Generalrevision der Seilbahn im August 2016 wurde die gesamte Anlage genau überprüft – von den Kabinen bis hin zu den Laufwerken, dem Antrieb und der elektrotechnischen Anlage.

„Seitdem werden jährlich im November die Kontrollen an den Seilen durchgeführt.  Im Zuge der Wartung der Anlage im November 2020 wurde die letzte magnetinduktive Seilprüfung durchgeführt. Dabei wurden keine Unregelmäßigkeiten festgestellt.“

Auflistung aller Kontrollen & Wartungsarbeiten

Leitner gab nun auf Basis der unternehmensinternen Unterlagen sowie der internen Prüfungen die Liste der in den letzten Monaten durchgeführten Kontrollen und Wartungen bekannt. Diese entsprechen den Anforderungen der geltenden Gesetzgebung und basieren auf dem mit der Betreibergesellschaft „Ferrovie del Mottarone“ abgeschlossenen Wartungsvertrag:

  • 3. Mai 2021: Wartung und Kontrolle der hydraulischen Bremsanlagen der Fahrzeuge
  • 29. März bis 1. April 2021: Zerstörungsfreie Prüfungen an allen mechanischen Sicherheitskomponenten der Anlage. Diese waren für die im August 2021 fällige Fünfjahresrevision vorgesehen und wurden vorgezogen.
  • 18. März 2021: Funktionsprüfung des gesamten Antriebssystems
  • 4. und 5. März 2021: Schmierung und Kontrolle der Laufrollen und der Seilscheiben in den Stationen.
  • 1. Dezember 2020: Test mit einer Simulation des Zugseilrisses und anschließendem Einfallen der Tragseilbremse – durchgeführt an beiden Kabinen.
  • 5. November 2020: Regelmäßige magnetinduktive Kontrolle der Zugseile (und aller Seile der Anlage) gemäß der Verordnung Nr. 144 vom 18.05.2016 des Verkehrsministeriums (Regelmäßigkeit einmal pro Jahr vorgeschrieben) mit positivem Ergebnis.

Die täglichen und wöchentlichen Kontrollen, welche die Betriebsvorschriften sowie die Bedienungs- und Wartungsanleitung vorsehen, liegen in der Verantwortung des Betreibers.