Mitarbeiter servicieren – ,,Ohne Wertschätzung kein gutes Team“

Wertschätzung wird unterschätzt. Davon ist Reinhard Haller überzeugt. Der renommierte Facharzt für Psychiatrie spricht im Interview über Kränkung, Lob & Motivation am Arbeitsplatz.

SI: Herr Haller, in Ihren Büchern und Vorträgen betonen Sie stets, dass Wertschätzung der beste Verstärkungs- und Motivationsfaktor ist. Warum?

Reinhard Haller: Jeder will gelobt werden, das ist Fakt. Alle Studien zu Zufriedenheit, Haltequote und Motivation am Arbeitsplatz zeigen, dass Anerkennung und Lob im Beruf noch vor sozialen Leistungen, Entgelt und Fortbildungen rangieren. Wertschätzung kann wirksamer sein als Psychotheraphie.

Ich kenne beispielsweise einen jungen Anwalt, der trotz großer privater und finanzieller Probleme aus seiner Depression herausgefunden hat, nur weil ihn sein Chef einmal ehrlich gelobt hat.

Wertschätzung wird also unterschätzt?

Absolut. Wertschätzung motiviert, sorgt für mehr Drive und Motivation im Betrieb und wirkt gegen Burn-Out. Leider nutzen Vorgesetzte das Lob zu selten und gehen dagegen lieber in irgendwelche Seminare. Dabei muss Wertschätzung nicht gelernt werden, nur getan!

Kränkungen

können sich zu seelischen Stürmen entwickeln.

Welche Rolle spielen Kränkungen?

Kränkungen sind von enormer Bedeutung, sie kommen im Arbeitsleben – auch bei Führungskräften – millionenfach vor. Meist werden sie als Kleinigkeiten abgetan und werden verdrängt, obwohl sie krank machen und in Frustration und Burn-Out münden.

Mobbing als systematische Variante ist davon wohl die bekannteste Form. Sie führt zu zwei Prozent der Berufsunfähigkeitspensionen und sieben Prozent der Krankenstände.

Die häufigste Form ist aber die fehlende Wertschätzung. Leider wird diese von der Wissenschaft zu wenig beachtet, obwohl sie schwere Depressionen auslösen kann.

Ich kenne einen Fall, in dem sich ein Mitarbeiter das Leben genommen hat, obwohl er körperlich gesund, einen guten Job und eine nette Familie hatte. Aber er wurde einmal bei einem Anerkennungsbonus übergangen. Das nagte an ihm, zermürbte seine Seele und löste eine Depression aus, die im Suizid endete.

UNIV. PROF. DR. REINHARD HALLER

Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapeut und Gerichtssachverständiger

  • 1994 Habilitation an der Universität Innsbruck, 2003 Ernennung zum Universitätsprofessor, von 1983 bis 2017 Chefarzt der Suchtklinik Maria Ebene.
  • Derzeit Führung einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Praxis in Feldkirch. Mitglied der unabhängigen Opferschutzkommission.
  • Umfangreiche Vortrags- und Publikationstätigkeit mit mehreren Sachbuch–Bestsellern: „Das ganz normale Böse“, „Die Narzissmusfalle“, „Die Macht der Kränkung“, und „Das Wunder der Wertschätzung“.

Was macht Kränkungen konkret aus?

Kränkungen sind keine Emotionen, sondern soziale Interaktionen zwischen Kränker, Inhalt und Gekränkten. Erstens muss der Kränker dem Gekränkten wichtig sein, ein anonymer Post trifft mich weniger, als Mobbing im Arbeitsteam.

Zweitens funktioniert Kränkung nur bei sensiblen Stellen, etwa bei den eigenen Werten oder nicht verheilten Wunden aus der Kindheit. Drittes hat jede Kränkung einen wahren Kern. Je wahrer, desto härter. Wobei jede Kränkung auch eine Lehre sein und zur Selbsterkenntnis beitragen kann.

Wie können Kränkungen vermieden bzw. beseitigt werden?

Wir benötigen ein Kränkungsbewusstsein. Führungskräfte sollten stets reflektieren: Hat meine letzte zynische Bemerkung schon die Schwelle zur Kränkung überschritten? Habe ich jemanden versehentlich beleidigt? Hier ist Empathietraining empfehlenswert, um Zynismus, Sarkasmus oder Krankenstände im Team richtig zu deuten.

Anschließend gilt es, die Sache zur Sprache zu bringen, damit ist die Hälfte schon geschafft. Generell dürfen Vorgesetzte ihre Vorbildfunktion nicht vergessen. Sie bestimmen die Stimmung und das Klima im Team durch ihr eigenes Verhalten erheblich mit.

Wie wird richtig wertgeschätzt?

„Nicht geschimpft ist gelobt genug“ – diese lerntheoretisch falsche Einstellung muss raus aus den Köpfen. Denn jeder Mensch hat das Gefühl, er wird zu wenig wertgeschätzt. Das ist ein Naturgesetz!

Wir brauchen zwar kein inflationäres Lob, dafür aber eine regelmäßige, individuelle, originelle, authentische, herzliche und ehrliche Wertschätzung. Lob darf nie erpresserisch sein und etwa zur Mehrarbeit „verpflichten“.

Wir können auch krank loben. Das ist ein Problem bei engagierten Mitarbeitern, die nicht nein sagen können. Nur wer einmal für seinen Job ‚brannte‘, kann Burn-Out bekommen.

Was kann der Mitarbeiter tun?

Er kann Wertschätzung einfordern, indem er konkret fragt, ob die Führungskraft mit seiner Arbeit zufrieden ist. Hier kann auch Kritik wertschätzend sein, sofern sie nicht persönlich und untergriffig ist. Der Mitarbeiter fühlt sich durch konstruktivs Feedback beachtet und kann sich verbessern.

Offensichtlich tun wir uns schwer damit, andere zu loben. Warum gibt es diese Hemmschwelle?

Wir lassen uns von der irrationalen Angst leiten, dass Loben negative Auswirkun- gen hat und uns verletzlich macht. Uns sind psychische und emotionale Themen peinlich. Interessanterweise fällt es uns leichter, über körperliche Gebrechen zu reden.

Bei Wertschätzung und Kränkungen schweigen wir dagegen, die Folgen sind Frustration und Gleichgültigkeit. Hier muss ein Umdenken stattfinden. Denn Wertschätzung kommt stets mit Zinsen zurück!