Seilbahn & Technik, SI-Alpin
Neuartiges Energiesystem für Seilbahnen nützt Bremsenergie
Dank Nutzung von Bremsenergie und Photovoltaik (PV) fährt die Bahn zu einem guten Teil mit vor Ort erzeugtem Strom. Die Energiekosten konnten um 30 Prozent gesenkt werden. Das Konzept ist auf andere Stand- und Luftseilbahnen übertragbar.
Seit 1887 führt eine Standseilbahn von der Stadt Biel auf die Juraanhöhe bei Magglingen. Die Bahn befördert nicht nur Ausflügler, sie ist Teil des öffentlichen Verkehrs mit einem dichten Fahrplan. 2019 wurde die Bahn grundlegend überholt und seit kurzem ist auf dem Dach der Bergstation eine große PV-Anlage (42 kWp) in Betrieb.
Sie ist der Schlussstein eines neuartigen Energiesystems, das am Departement Technik & Architektur der Hochschule Luzern entwickelt wurde und sich in den letzten Monaten im Alltagsbetrieb bewährt hat.
Bremsenergie für nächste Bergfahrt nutzen
Die Standseilbahn besteht aus zwei Waggons für jeweils 120 Fahrgäste, die durch ein Zugseil verbunden sind. Fährt der eine Waggon in der Talstation los, braucht er Antriebsenergie, um Höhe zu gewinnen.
Hat er gut die Hälfte der 1700 m langen Strecke zurückgelegt, ist keine Energie mehr nötig, denn die talwärtsfahrende Bahn und das zugehörige Zugseil sind nun so schwer, dass sie den ersten Waggon hochziehen.
Der talwärtsfahrende Waggon muss jetzt sogar abgebremst werden. Die dabei freiwerdende Energie kann zurückgewonnen (rekuperiert) werden. So herrscht bei der Standseilbahn ein ständiger Wechsel zwischen Energiebezug und -abgabe.
Ein Forscherteam des Departements Technik & Architektur der Hochschule Luzern hat ein innovatives Energiemanagementsystem entwickelt, das die komplexen Energieströme steuert.
Die Bremsenergie wird in einer Batterie gespeichert, um wenig später für den Antrieb der nächsten Bergfahrt und die Hilfsbetriebe (Pumpen, Lüfter, Heizung) genutzt zu werden.
Die Batterie dient zudem als Zwischenspeicher für den Solarstrom. «Dank PV-Anlage und Bremsenergie kann die Standseilbahn mehr als 30 Prozent ihres gesamten Energiebedarfs selber decken», sagt Projektleiter Olivier Duvanel, der als Elektroingenieur am Departement Technik & Architektur der Hochschule Luzern tätig ist.
Innovative Steuerung der Energieflüsse
Duvanels Idee für das Energiekonzept reicht in das Jahr 2015 zurück. Auf der Grundlage umfangreicher Messungen erstellte er eine Machbarkeitsstudie zu technischer Umsetzung und Wirtschaftlichkeit.
Anschließend entstand am Kompetenzzentrum Digital Energy and Electric Power (Deep) der Hochschule Luzern das Herzstück der Anlage: das Energiemanagementsystem, das sämtliche Energieflüsse der Bahn einschließlich PV-Anlage und Batteriespeicher steuert.
In den vergangenen zwei Jahren wurde das System im Zuge der Gesamtsanierung der Standseilbahn eingebaut und optimal eingeregelt.
Bei mobilen Anwendungen stellt das Zusammenspiel der elektrischen Komponenten hohe Ansprüche, die nicht mit der PV-Anlage auf einem Hausdach vergleichbar sind.
Um diese Herausforderung zu meistern, konnte Olivier Duvanel auf 6 Jahre Praxiserfahrung aus dem Seilbahnsektor zurückgreifen, die er vor sechs Jahren bei seinem Wechsel in die akademische Forschung mitbrachte.
Betriebskosten deutlich gesenkt
«Das von der Hochschule Luzern entwickelte Energiesystem funktioniert im Dauerbetrieb zuverlässig; es hat unsere Stromkosten um 30 Prozent reduziert», sagt Raphaël Schlup, Leiter Technik/Betrieb Seilbahnen bei den Verkehrsbetrieben Biel, die die Standseilbahn Biel-Magglingen betreiben.
Die Einsparung fällt ins Gewicht, denn Strom macht die Hälfte der Betriebskosten aus. Die Investitionen in die Pilotanlage werden innerhalb von 15 Jahren amortisiert sein. Bei künftigen kommerziellen Anlagen sind Amortisationszeiten von zehn Jahren realistisch.
Das Energiekonzept mit PV-Anlage und Batteriespeicher kann auf andere Pendelbahnen übertragen werden, von denen es allein in der Schweiz rund 200 gibt.
Das Bundesamt für Verkehr hat das Projekt aus dem Programm Energiestrategie 2050 im öffentlichen Verkehr (ESöV 2050) finanziell unterstützt, das die Nachhaltigkeit des öffentlichen Verkehrs weiter stärken will. Als Industriepartner beteiligt waren Frey AG, Stans (Seilbahnsteuerung), Doppelmayr-Garaventa
(Seilbahntechnik) und ABB Schweiz (Batteriespeicher inkl. Netzumrichter).
Vier Fünftel der Energie werden vor Ort genutzt
Neben der PV-Anlage ist die Batterie mit 68 kWh Speicherkapazität die zentrale Komponente des Energiesystems. Sie speichert die rekuperierte Bremsenergie, bis sie bei der nächsten Bergfahrt eingesetzt werden kann, und überschüssigen Solarstrom aus der PV-Anlage.
Auf diesem Weg können mehr als 80 Prozent der selbst erzeugten Energie für die Standseilbahn genutzt werden. Ein Teil der gespeicherten Energie soll künftig in Reserve gehalten werden, um die beiden Waggons im Fall eines Netzausfalls in die Stationen zurückführen zu können. Das bisher zu diesem Zweck eingesetzte Dieselaggregat wird damit überflüssig.