SI 3/2021, SI-Alpin, Wartung & Service
Schmiermittel im Seil – bewirkt mehr als man denkt
Wir neigen dazu, uns schlechte Erfahrungen besser zu merken als gute. Das beste Beispiel ist der weit verbreitete Eindruck, im Supermarkt immer an der langsameren Kasse anzustehen und dass die anderen immer viel schneller wieder draußen sind. Wenn man selbst einmal besser durchgekommen ist, nimmt man das meist gar nicht richtig war.
Beim Schmieren von Seilen könnte dies mit ein Grund sein, warum sich negative Erfahrungen mit geschmierten Seilen über Jahrzehnte in der Branche halten können und die guten Ergebnisse kaum weitergetragen werden.
Dabei bringt das Schmieren von Seilen so viel mehr als einen reinen Korrosionsschutz. Um dies zu zeigen, wollen wir ein wenige Faser tiefer eintauchen, was das Seil im Betrieb auf der Anlage eigentlich macht und wie ein Schmiermittel hier wirken kann.
Ein Stahlseil ist um ein Vielfaches stärker als ein Vollmaterial mit gleichem Durchmesser. Und doch lässt sich ein Seil flexibel krümmen, ohne dass sich der Werkstoff an den Rändern plastisch verformt.
Das Seil bedient sich hier eines Tricks: Durch die gewundene Struktur der Drähte „holt“ sich das Seil im gekrümmten Zustand gestauchte Drahtabschnitte aus der Druckzone der Biegung und verschiebt diese zum Ausgleich in die Zugzone. Abbildung 1 unten zeigt den Effekt im Seil etwas deutlicher im Vergleich zu einem Vollmaterial:
Abbildung 3: Schmierapparat der Seilbahnfirma Bleichert aus dem Jahre 1916.
Konsequenzen trockener Seile
Somit wird ein Teil der Biegespannung im Seilverbund ausgeglichen. Wenn ein Seil geschmeidig und gut geschmiert ist, läuft dieser Vorgang mit entsprechend geringer Reibung am besten ab.
Ist ein Seil trocken oder gar korrodiert, wird der Biegeausgleich durch Verschieben der Drähte gehindert. Die Drähte rutschten nicht mehr so gut nach – und die Drahtspannung beim Biegen steigt. Doch was hat das für Konsequenzen?
Mit jeder Biegung eines Seils über eine Scheibe, bzw. mit jedem Umlauf einer Seilbahn schreitet die Ermüdung des Seils voran, es wird ein kleiner Teil der Seillebensdauer „verbraucht“. Verschleiß durch Abrieb kommt auch noch hinzu, aber den lassen wir in dieser Betrachtung einmal außen vor.
Mit der Zeit entstehen zuerst langsam und dann mit fortschreitender Ermüdung immer schneller Drahtbrüche. Für das Seil ist der Ermüdungsfortschritt am geringsten, wenn die Biegung mit wenig Hindernissen abläuft und die Drahtspannung möglichst klein bleibt.
Im Labor hat man schon vor Jahrzehnten trockene Seile gegen satt durchgeschmierte Seile im Vergleich getestet: Auf der Prüfmaschine lag der Lebensdauerunterschied etwa bei Faktor zwei. In Abbildung 2 oben wurde ein Seil in seine Litzen zerlegt und eine trockene, stark beanspruchte Litze gegen eine Litze aus einem nahezu unbenutzten Stück gelegt.
Seil reibt innerlich
Neben dem Einfluss auf die Lebensdauer verbraucht Reibung auch Energie. Dass ein trockenes oder korrodiertes Seil einen schlechteren Wirkungsgrad beim Biegen hat, liegt auf der Hand.
Noch nicht detailliert erforscht ist die Frage, wieviel mehr Antriebsenergie eigentlich benötigt wird, ein trockenes Seil durch eine Saison zu ziehen. Fakt ist: Ein Seil entwickelt durch mangelnde Schmierung mehr innere Reibung, so dass es steifer wird und schneller Drahtbrüche entstehen können.
Durch fachgerechte Schmierung mit einem geeigneten Mittel, einer ausgewogenen Menge und in ausreichend engen Abständen kann die Seillebensdauer erhöht werden. Gleichzeitig wird der Logik nach der Energieverbrauch der Seilbahnanlage reduziert.
Fazit: Glaube vs. Erfahrung
Wie eingangs erwähnt scheuen sich viele aufgrund der gut überlieferten schlechten Erfahrungen, ein Seil nachzuschmieren. Und Schmieren ist auch ein Eingriff in den IST-Zustand der Anlage, bei dem man Fehler machen kann.
Aber ein Erfahrungsschatz aus mehr als 100 Jahren Einsatz von Drahtseilen in Personenseilbahnen und das Lernen aus Fehlern helfen dabei, dass man es gut machen kann und letztlich durch Schmieren die Betriebskosten einer Anlage senken kann.
Gerne unterstützt das Team von JAKOB ROPE SYSTEMS Seilbahner dabei, ein geeignetes Seilschmierkonzept zu entwickeln. Und wenn etwas gut funktioniert, darf man es dann ruhig auch mal weitererzählen.
Autor: Konstantin Kühner