Digitalisierung & Innovation, SI 7/2022
Fatzer/Letscan: Bringen KI zur Seilprüfung
Seile haben eine begrenzte Lebensdauer und müssen daher regelmäßig auf äußere und innere Schäden überprüft werden.
Diese Prüfung wird mithilfe magnetinduktiver Seilprüfgeräte durchgeführt, die das Streufeld des Seils und etwaiger Schadstellen aufzeichnen.
Für die Analyse dieser Messschriebe werden unterschiedliche Algorithmen eingesetzt, die nun bei FATZER durch künstliche Intelligenz (KI) unterstützt werden sollen.
Preisträger
Stéphane Pernot von LETSCAN (li.)
Da fix installierte Prüfgeräte des Typs TRUscan permanent Messdaten liefern, ergeben sich neue Dimensionen von Auswertemöglichkeiten.
Gerade deswegen hat FATZER dieses Forschungsprojekt zusammen mit LETSCAN lanciert – es wurde kürzlich mit einem Award an der OIPEEC-Konferenz (internationaler Verband der Seiltechnologie) ausgezeichnet.
Zur Forschung
Drahtbruchsignale von einzelnen Drahtbrüchen auf Litzenseilen sind relativ einfach zu erkennen.
Je größer der Querschnittsanteil des Drahts am metallischen Querschnitt des Seils und je größer die Lücke zwischen den Drahtbruchenden, desto größer bzw. charakteristischer fällt das Signal aus.
Die Signale von schwachen oberflächlichen Schäden, bzw. solchen ohne abrupten Querschnittsverlust sind dagegen schwerer im Messsignal zu erkennen oder sind so klein, dass sie im Grundsignal des Seils untergehen können.
Speziell für diese Art der Schäden entwickelte Stéphane Pernot von LETSCAN mit der FATZER AG auf Basis der künstlichen Intelligenz eine neuartige Analysemethode, die es ermöglicht, Messdaten automatisch zu analysieren und dabei zusätzlich zu Drahtbrüchen weitere Schadensklassen automatisch zu erkennen.
Mithilfe der zusätzlichen Informationen aus den Messsignalen soll die visuelle Inspektion der Seile unterstützt und die Sicherheitsarchitektur optimiert werden.
Prozess
der Klassifikation mittels künstlicher Intelligenz
KI zur Analyse von Wirelets
Üblicherweise werden Messschriebe in linienartiger Darstellung ausgewertet. Die Darstellung der Messschriebe mit Hilfe der Wavelet-Technologie, bei Seilen Wirelet genannt, verleiht den Messdaten eine bisher unsichtbare zusätzliche Dimension: Energie.
Somit können Schadstellen sichtbar gemacht werden, die mit den konventionellen Analysemethoden unsichtbar waren und somit weder mit dem menschlichen Auge noch mit einem Algorithmus erkennbar waren.
Mithilfe der Wirelet-Technologie werden neuartige Ansichten der Messdaten generiert, die jedoch ohne spezielle Erfahrung nicht ausgewertet werden können.
Das Erkennen von Drahtbrüchen, also von solchen Schäden mit abruptem Querschnittsverlust, ist in den bunten Ansichten der Messdaten noch relativ „einfach“ möglich, da sie auffällig groß und rot aus dem Grundsignal des Seils hervorstechen.
Ohne Erfahrung ist es jedoch unmöglich, die vielen anderen Signale, z.B. kleine Signale mit schwacher Farbänderung oder breite Signale mit auffälliger Farbe zu bewerten.
Eine Vielzahl an Referenzschadstellen wird benötigt, um zu lernen, wie deren Signale in der Wireletdarstellung aussehen.
Messdaten von Testseilbahn
Für das Generieren von Messdaten mit interessanten Signalen wurde die Testseilbahn der FATZER AG genutzt.
Mit einer Seilschlaufe von rund 220 Metern Länge ist sie optimal geeignet, um schnell realen Verschleiß zu erzeugen. Zusätzlich können auf dem Seil künstliche Fehler eingebracht werden, die als Referenzschaden regelmäßig wieder geprüft werden können.
So wurden in einem ersten Schritt 100 Schadstellen modelliert, von Einfach-Drahtbrüchen bis hin zu Drahtbruchnestern, von geometrischen Veränderungen wie Drahtverschiebungen oder gar Quetschungen des Seils über Kratzer und Kerben bis hin zu Blitzschlagschäden.
Aus den so gewonnenen Messdaten wurden die Wireletbilder der Schadstellen extrahiert. Im Rahmen dieser Voruntersuchung konnten die charakteristischen Signalformen der verschiedenen Schadenstypen ermittelt und eine erste Abschätzung über deren Detektierbarkeit getroffen werden.
Seilschäden und ihre Darstellung mit Wirelet
Seilschäden und ihre Darstellung mit Wirelet (von oben): Drahtbruch, Kratzer, Abrieb, Kerbe, Lötstelle. Bilder: FATZER
Ergebnisse
Wie zu erwarten war, sind kleine Schäden mit geringem Querschnittsverlust oder minimaler Änderung der Litzenstruktur momentan nur schwer manuell erkennbar oder nicht sicher wiederholbar zu identifizieren.
Um diese schwachen Signale nun automatisch erkennen zu können, kommt die künstliche Intelligenz ins Spiel.
Der KI-Algorithmus erkennt nun selbstständig, was die unterschiedlichen Signalformen und deren Farben in den Wireletbildern zu bedeuten haben.
Die Künstliche Intelligenz ist eine Art lernfähiges Computerprogramm, welches menschliches Denken nachahmen soll und ist in vielen Varianten und für verschiedene Anwendungsfälle bereits frei verfügbar.
Im vorliegenden Fall kommt ein Algorithmus zum Einsatz, der speziell für die Bildverarbeitung, zum Beispiel Gesichtserkennung, geeignet ist.
Der künstlichen Intelligenz werden also viele Bilder von Schadstellen aus Messdaten in Wireletdarstellung vorgesetzt, um die charakteristischen Merkmale der Schadenstypen zu erlernen, um dann auch aus bisher unbekannten Signalen auf einen bestimmten Schadenstyp schließen zu können.
Künstliche Intelligenz wird trainiert
Im Laufe des Forschungsprojekts wurden verschiedene KI-Modelle, sogenannte neuronale Netzwerke, getestet. Bei den Tests muss bewertet werden, wie effizient ein solches neuronales Netzwerk arbeitet.
Es gilt also dasjenige Netzwerk zu finden, das nach einem definierten Training mit einer bestimmten Anzahl von Wireletbildern eine möglichst hohe Erkennungsquote von Schadstellen erreicht, ohne dabei unnötige Ressourcen zu verschlingen.
In den Versuchen stellte sich heraus, dass Darknet19 sehr gute Ergebnisse liefern konnte, sodass dies auch für die weiteren Untersuchungen genutzt wurde.
Anhand tatsächlich vorhandener Schäden auf dem Seil der Testseilbahn wurde die künstliche Intelligenz trainiert und anschließend kontrolliert.
Fazit
Insgesamt kann gesagt werden, dass die Analyse von Wireletbildern mit Hilfe von künstlicher Intelligenz vielversprechende Ergebnisse liefert.
Es konnten Oberflächenschäden gefunden werden, die mit konventionellen Analysemethoden nur schwer erkannt worden bzw. nicht automatisch gefunden worden wären.
Es darf davon ausgegangen werden, dass das Forschungsduo hier einen großartigen Schritt in Richtung Schadenserkennung von Oberflächenschäden realisiert hat, aber wesentliche Forschungsschritte noch vor sich haben.
Wenn oberflächliche Schäden mit hoher Wahrscheinlichkeit aus den Messsignalen extrahiert werden könnten, wäre dies eine enorme Unterstützung für den Seilbahnbetreiber und würde die Sicherheitsarchitektur massiv optimieren.