Management & Tourismus, SI 1/2025
Bürgermeister Ernst Schöpf: „Sölden kann viel, muss aber auch!“
SI Magazin: Herr Schöpf, mit rund 2,5 Millionen Übernachtungen pro Jahr ist Sölden eine gefragte Destination. Wird es Gästen und Einheimischen bereits zu viel?
Ernst Schöpf: Klagen zu Overtourism habe ich noch keine wahrgenommen. Zwar gibt es drei vier Tage im Jahr mit Spitzenauslastung, aber grundsätzlich sind wir weder bei Logiergästen noch bei Tagesausflüglern am Limit. Die Seilbahnen sind leistungsstark, die 17.500 Betten ausreichend – selbst bei 16.000 Gästen am Berg. Wem Sölden trotzdem zu umtriebig ist, der kann in die ruhigeren Ortsteile Obergurgl, Hochgurgl und Vent ausweichen.
Sie planen also keine Ausweitung der Bettenkapazität?
Wir haben seit 2000 eine Bettenbremse, um dem Baulandüberhang aus den 80er Jahren entgegenzuwirken. Investitionen in die Qualität der Beherbergungsbetriebe – etwa Wellnessbereiche oder bessere Zimmer – begrüßen wir, den reinen Bettenausbau dagegen nicht.
Sorgen macht mir vielmehr die Nachfolgethematik. Die jüngere Generation sucht sich immer öfter neue Berufsfelder außerhalb des Tals, was ihr gutes Recht ist. Aber wer übernimmt dann die Hotels und Pensionen?
Wir haben in Sölden immer darauf geachtet, dass die Unternehmen in einheimischer Hand bleiben, um externe Investoren, die nur auf das schnelle Geld schielen, zu verhindern.
Hier müssen wir genau hinsehen, doch es kann klappen. Wir haben zum Beispiel einen russischen Hotelinvestor, der sehr nachhaltig agiert. Es fällt niemanden auf, dass dort kein Söldener im Grundbuch steht.
„Die wesentlichen Treiber des Tourismus im Ötztal sind private Akteure.
Und das ist auch gut so“, betont Ernst Schöpf. © Ötztal Tourismus
Oft fehlt es ja nicht nur an Nachfolgern, sondern auch an Mitarbeitern. Wie ist die Situation in Sölden?
Wir haben bereits Hotels, die ihre Restaurants aufgrund von Personalmangel geschlossen haben. Andere haben ihre Betriebe in Appartementhäuser umgewandelt, die weniger personalintensiv sind.
Grundsätzlich verzeichnen wir aber noch immer ein ausgewogenes Verhältnis an Hotels, Pensionen und Appartements. Wir bieten für jede Zielgruppe die passende Unterkunft – vom Urlaub am Bauernhof bis zum Aufenthalt im Fünf-Sterne- Resort.
Ein Grund dafür, warum wir großteils noch genügend Personal haben, ist sicher der Bau von Mitarbeiterhäusern, etwa durch die Bergbahnen und Hoteliers. Die Saisonniers wohnen hier wirklich schick.
Apropos Wohnraum: Bauland ist knapp und teuer, wie verhindern Sie, dass junge Einheimische abwandern?
Das ist tatsächlich eine absolute Challenge. Einerseits kommt der Druck von reichen Auswärtigen, die sich bei uns einen Zweitwohnsitz anschaffen wollen.
Andererseits haben wir kaum Grundstücke: Nur ein Prozent des Gemeindegebiets von Sölden dient als Siedlungs- und Wirtschaftsraum, der Rest ist aufgrund von Topographie und Naturschutz tabu.
Wir versuchen per Vertragsraumordnung förderwürdige Flächen zu schaffen, auf denen junge Einheimische bauen können. Zudem haben wir die Regeln für Wohnbauträger gelockert: Wohnungswerber müssen nicht mehr so lange in Sölden wohnen oder arbeiten wie bisher, um Eigentum zu erwerben.
kommunale Bedürfnisse
„An der Bergbahn sind wir zu 15 Prozent beteiligt, so können wir auf
kommunale Bedürfnisse hinweisen“, sagt Ernst Schöpf. © Ötztal Tourismus
Inwiefern setzt der alpine Tourismus die kommunale Infrastruktur unter Druck?
Bei 3.100 Einwohnern, 3.000 Saisonniers und 17.500 Gästen sind selbstverständlich unsere Basics gefordert. In der Trinkwasserversorgung, in der Abwasserentsorgung und beim Müllmanagement können wir uns keine Zwischenfälle leisten, daraus ergäbe sich rasch ein Imageschaden für die Destination. Unsere Infrastruktur ist dank dem tatkräftigen Einsatz aller Beteiligten mit dem Tourismus mitgewachsen. Zudem haben wir als Gemeinde auch den Ehrgeiz beim Niveau der privaten Akteure mitzuhalten. Sölden kann viel, muss aber auch!
Zur Infrastruktur zählen auch Straßen, Parkplätze und öffentliche Verkehrsmittel. Der Urlauberverkehr und die Mobilität der Einheimischen überlagern sich. Wie reagiert Sölden darauf?
Bei der Anreise setzen wir konsequent auf die Buslinie durch das Ötztal. Zugreisende können am Taleingang vom Fernverkehr direkt darauf umsteigen.
Im Tal selbst sind alle wichtigen Attraktionen mindestens im Halb-Stunden-Takt angebunden, die Ötztal-Card macht den Umstieg vom Auto auf den Bus noch verlockender.
Die Mitarbeiter-Shuttles von Bergbahn und Co. entlasten die Straßen zusätzlich. Darüber hinaus haben wir 2024 eine umfassende Parkraumbewirtschaftung umgesetzt, das hat den Individualverkehr vor Ort stark reduziert – besonders bei den Einheimischen und Mitarbeitern.
Erstaunlicherweise gab es bisher dagegen kaum Proteste: Die Gäste nehmen die kostenpflichtigen Parkplätze ganz selbstverständlich hin, die Bevölkerung versteht die Notwendigkeit dahinter.
„Ziehen Sie mal eine Buslinie durch sieben Gemeinden. Es gibt leichtere
Vorhaben, aber es hat sich gelohnt“, sagt Ernst Schöpf. © Ötztal Tourismus
Die Tourismusgesinnung ist in Sölden also noch gegeben?
Die Menschen wissen, dass der Tourismus für unser Tal alternativlos ist. Dank ihm haben wir keinen Mangel an Handwerk, Gewerbe und Infrastruktur. Hinzu kommt das große Freizeitangebot, von dem auch die Einheimischen profitieren – und damit meine ich nicht nur die Ötztaler.
Es gibt Gemeinden im Inntal, die schicken ihre Kinder zu uns ins Hallenbad, damit diese dort Schwimmen lernen. Die Öffentlichkeit sieht Sölden nur als Tourismusort, für uns Einheimischen ist Sölden viel mehr. Wir haben etwa ein üppiges Vereinsleben, was in der Hochsaison zwar kaum wahrnehmbar ist, aber übers Jahr unsere Gemeinde prägt.
Stichwort Zusammenhalt: Wie gut arbeiten Sie mit den Bergbahnern und Touristikern zusammen?
Die Gemeinde Sölden versteht sich als Möglichmacherin und nicht als Verhinderin. Lieber suche ich nach einem positiven statt einen negativen Paragrafen.
Natürlich gibt es im Einzelfall Reibereien, aber im Kern finden wir uns immer zusammen. Der Austausch unter den Akteuren ist für die positive Entwicklung Söldens essenziell.
Ist das der Grund, warum Sie vom 17. bis 19. September 2025 am BergNetzWerk in Oberstdorf, Deutschland, teilnehmen werden?
Ich bin über Werner Hanselitsch, Geschäftsführer der Bergbahnen in Obergurgl, auf das Event aufmerksam geworden. Zudem war Sölden bereits Gastgeber des Vorgängerevents BergBahnCamps.
Einerseits verspreche ich mir neue Inputs und Kontakte in der spannenden Destination Oberstdorf. Andererseits begleite und koordiniere ich den alpinen Tourismus im Ötztal seit fast 40 Jahren und kann selbst relevante Infos weitergeben. Die Bergbahnbranche ist ein Dorf – so wie Sölden!