Management & Tourismus, SI 5/2024
HR soll sich auf Lebensmitte konzentrieren
Moderne HR (Human Resources), also modernes Personalmanagement, hat auch in der Seilbahn- und Tourismusbranche weit mehr Aufgaben zu erfüllen, als neue Mitarbeiter durch Recruiting ins eigene Unternehmen zu bringen.
Eine dieser Aufgaben ist es, so Joël Luc Cachelin, „sich gezielt um die oft langjährigen Mitarbeiter zu kümmern, die in ihrer Lebens- und Arbeitslebensmitte stehen“. Grund genug, den Schweizer Trendforscher und Vordenker zu einem Interview zu bitten.
SI Magazin: Sie widmen sich in Ihren neuesten Arbeiten zur HR speziell den Menschen in der Lebensmitte. Wer konkret ist damit gemeint?
Joël Luc Cachelin: Es geht um die 40-bis 50-Jährigen, die mitten im Leben und mitten im Arbeitsalltag stehen. Viele von ihnen machen sich grundlegende Gedanken über ihre zweite Lebens- bzw. Arbeitslebenshälfte. Dabei gilt es sie zu unterstützen.
Warum braucht es für diese Personengruppe eine eigene HR-Strategie?
Ich sehe diese Menschen an einem Punkt, von dem sie auf die Vergangenheit und in die Zukunft blicken. Diese Lebensphase ist in allen Bereichen, so auch in der HR, unterbelichtet. Im Blickfeld stehen andere Gruppen, etwa die Gen Z (15- bis 30-Jährige) oder die 50-Plus-Generation. Das führt dazu, dass der große Teil der bestehenden Belegschaft, die sich „dazwischen“ befindet, vernachlässigt wird.
Wieso stehen Menschen in der Lebensmitte vor solch großen Fragen?
Die Mitte ist ein Abschnitt, in dem wir Bilanz ziehen und uns die Frage stellen, wollen wir so weitermachen wie bisher? Oder ist der Zeitpunkt gekommen, etwas ganz anderes zu machen?
Joël Luc Cachelin
Der Schweizer Trendforscher und Vordenker Joël Luc Cachelin leitet die Schweizer Wissensfabrik. Seit 2010 sind in der Auseinandersetzung mit der Zukunft mehrere Sachbücher und Fachartikel entstanden.
Was können Unternehmen tun, um Mitarbeiter in der „Mitte“ in ihrer Entwicklung zu unterstützen, sofern diese das wollen?
Wichtig ist, aktiv das Gespräch zu suchen und spezifisch zu hinterfragen, was ihre Bedürfnisse sind. Beratung bzw. Coaching wäre wichtig, etwa beim Stellen von Zukunftsfragen, den Entwicklungsmöglichkeiten inklusive des eigenen Karrierewegs. Auch Hilfestellung beim Vitalitäts- bzw. Energiemanagement ist empfehlenswert.
Haben Sie konkrete Ideen für Anreize, die Unternehmen schaffen könnten?
Allen 44-Jährigen ein Jahr lang eine 4-Tage-Woche zu ermöglichen, sofern diese das wollen, wäre eine Möglichkeit. Alternativ können sie beispielsweise mehrmonatige Sabbaticals anbieten.
Sehen Sie Risiken darin, als Unternehmen Mitarbeiter beim Beantworten ihrer persönlichen Zukunftsfragen zu unterstützen?
Indem man die Leute ermuntert, Bilanz zu ziehen, gibt es ein Restrisiko, dass Einzelne den Wunsch verspüren, das Unternehmen zu verlassen. Um dem proaktiv entgegen zu wirken und zusätzliche Perspektiven bieten zu können, braucht es eine neue Form der HR-bezogenen Zusammenarbeit innerhalb der Branche bzw. in touristischen Destinationen oder auch branchenübergreifend. Gemeinsam ein Programm für Menschen in der Lebensmitte zu etablieren, wäre für alle Beteiligten vielversprechend.
Welche Signale setzt HR den Mitarbeitenden?
Die Lebensmitte ist eine Zeit des Hinterfragens.
Was können Sie Unternehmen im Umgang mit ihren Mitarbeitern in der Lebensmitte noch empfehlen?
Ich glaube, es ist wichtig, loslassen zu können und nicht zu versuchen, einen Menschen in einer Position oder einem Unternehmen zwanghaft zu halten. Das funktioniert nicht. Zudem kommen nicht selten Mitarbeiter nach einigen Jahren von sich aus wieder zurück. Auch deshalb ist es ratsam, eine gute Beziehung zu ehemaligen Mitarbeitern aufrecht zu erhalten.
Losgelöst von der Gruppe derer, die in der Mitte des Arbeitslebens stehen – welche zukünftigen Herausforderungen sehen Sie für die HR?
Es ist generell wichtig, stark in die eigene Arbeitgebermarke zu investieren, um für Mitarbeiter attraktiv und damit auch erfolgreich im Recruiting zu sein. Weiters erscheint mir das Fördern der Entwicklung von Mitarbeitern auf fachlicher wie persönlicher Ebene als zentral.
Überdies gibt es im Bereich Organisationsentwicklung ToDos für eine aufgeschlossene Unternehmenskultur, die den Wandel und die Weiterentwicklung (Digitalisierung, Nachhaltigkeit usw.) in den Blick nimmt.
Zusätzlich sollte die HR sich um Exnovation kümmern, also dazu beitragen, dass überholte Innovationen und nicht mehr relevante Agierensweisen erkannt und „beerdigt“ werden.
Interview: Oliver Pichler