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Lawinendruck auf Hindernisse neu berechnet
Seit Beginn der Lawinenforschung untersuchen Wissenschaftler, welchen Druck Lawinen auf Hindernisse erzeugen. Bisherige Berechnungen beruhen auf Modellen, die zwar schnelle Fließlawinen gut repräsentieren, jedoch den Druck durch langsam fließende Nassschneelawinen unterschätzen können.
In der Praxis – zum Beispiel zur Umsetzung geeigneter Schutzmaßnahmen an Gebäuden – ist es jedoch wichtig, Lawinen mit verschiedenen Fließtypen zu berücksichtigen.
SLF-Forschende haben darum die Prozesse untersucht, welche bei der Wechselwirkung zwischen Hindernissen und Lawinen mit verschiedenen Fließtypen auftreten, und eine neue Berechnungsmethode für den Lawinendruck auf Hindernisse entwickelt.
Dazu mussten sie verschiedene Faktoren berücksichtigen, welche den Lawinendruck beeinflussen, wie etwa das Verhalten der Lawine während des Fließvorgangs und die Kohäsion des Lawinenschnees. Mit der neuen Methode soll es nun möglich sein, Druckwerte genauer zu bestimmen.
Lawinenablagerungen am Wandhindernis im Vallée de la Sionne.
Bild a zeigt eine Seitenansicht der Wand mit den Ablagerungen einer «warmen» Lawine vom 15. Januar 2021. Bild b zeigt eine Frontalansicht der Wand mit den Ablagerungen einer typischen «kalten» Staublawine vom 16. Dezember 2018
Simulationen am Computer
Die Untersuchung der physikalischen Prozesse bei der Interaktion zwischen Lawinen und Hindernissen erfolgte mit der Methode der Diskreten Elemente (DEM). Eine Lawine wird als granulare Strömung modelliert, die je nach Zusammensetzung und Temperatur sehr unterschiedliche Fließeigenschaften hat.
Eine langsam fließende Nassschneelawine baut in Bodennähe mehr Druck auf als an der Oberfläche, weil der Druck vom Gewicht des darüber liegenden Schnees abhängt.
Zudem nimmt der Lawinendruck mit der Geschwindigkeit proportional im Quadrat zu, was insbesondere bei schnelleren Lawinen relevant ist.
Die Forschenden ließen in Computersimulation zahlreiche virtuelle Lawinen auf Hindernisse mit verschiedenen Formen prallen. Daraus leiteten sie Berechnungsmethoden für den Druck ab, die sie schließlich mit Messungen realer Lawinen an Hindernissen verglichen.
Simuliertes Hindernis (a) und Mast im Testgelände Vallée de la Sionne (b).
Das Hindernis in der Simulation hat denselben Querschnitt und dieselbe Sensorgeometrie wie der Stahlpylon im Vallée de la Sionne. Der einzige wesentliche Unterschied zwischen dem realen Mast und der modellierten Struktur besteht darin, dass die Druckmesssensoren im Modell mit kleineren vertikalen Abständen als in der Realität verteilt sind, um eine höhere räumliche Auflösung des Druckprofils zu erreichen.
Vielversprechende Ergebnisse
Dafür standen den Forschenden ein großr Datensatz aus dem Lawinentestgelände des SLF im Vallée de la Sionne (Gemeinde Arbaz VS) zur Verfügung. Zahlreiche Messinstrumente registrieren dort an diversen Einrichtungen seit über 20 Jahren verschiedene Lawinenkenngrössen.
So sind an einem 20 Meter hohen Masten unter anderem Drucksensoren, eine Hochgeschwindigkeitskamera sowie Geschwindigkeitssensoren installiert. Zudem liefern zwei Keile mit unterschiedlichen Formen weitere Daten zum Lawinendruck.
Die maximalen gemessenen Aufpralldrücke liegen um 1200 kPa (was 120 t/m2 entspricht). Vergleiche zwischen simulierten und echten Lawinen zeigen, dass mit der neuen Berechnungsmethode die Messungen gut reproduziert werden.
Bevor die Methode jedoch in die Praxis übertragen werden kann, sind weitere Untersuchungen nötig.
Sicht auf eine Lawine, die den Masten im Vallée de la Sionne umströmt
Die obere Hälfte zeigt ein Bild, das von einer auf dem Masten montierten Kamera aufgenommen wurde. Die untere Hälfte zeigt ein Beispiel einer DEM Simulation, bei der die Partikel entsprechend der Geschwindigkeit eingefärbt sind, wobei Rot für hohe und Blau für niedrige Geschwindigkeiten steht.
Praxistauglichkeit prüfen
Die Objekte, die im Lawinenhang des Testgeländes im Wallis stehen, sind schlank. Damit jedoch die Wirkung einer Lawine auch auf eine breite Hauswand berechnet werden kann, sind noch weitere Experimente mit größeren Hindernissen nötig.
Mit der bisherigen Forschung ist der Grundstein dafür gelegt. In Zukunft könnte die neue Berechnungsmethode auch zur Aktualisierung bestehender Normen sowie zu einer verbesserten Bemessung von Schutzmaßnahmen und damit zur Lawinensicherheit beitragen.
Das Bedürfnis nach genaueren Methoden, um den Lawinendruck zu berechnen, ist bei Fachleuten auf jeden Fall vorhanden.