Digitalisierung & Innovation, SI 7/2020, SI-Alpin
Wie wird eine Bergbahn innovativ?
SI: Frau Pikkemaat, warum müssen alpine Destinationen innovativ sein?
Pikkemaat: Der globale Wettbewerb im Tourismus ist intensiver geworden. Auch wenn momentan der Tourismus von der aktuellen COVID 19/20 Pandemie besonders stark betroffen ist und Stillstand herrscht. Dennoch konnten wir in den vergangenen Jahren einen Wertewandel beobachten. Die Präferenzen der Touristen ändern sich – und somit das Verhalten und letztlich der Konsum. Die Gäste fordern heute „anderes und mehr“ als vor zwei, drei Dekaden.
Deshalb müssen alpine Destinationen Trends in der Nachfrage, sowie Entwicklungen in der Gesellschaft frühzeitig erkennen, um mit innovativen Produkten agieren zu können. Sie befinden sich auch hier im Wettbewerb!
Sind alpine Destinationen denn innovativ?
Durchaus, wobei im Vergleich zur inter-nationalen Reiseindustrie schon ein Innovationsdefizit herrscht. Dies ist der fragmentierten Destinationsstruktur des alpinen Tourismus geschuldet, welche sich in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), Differenzierung, Kooperationsprozessen und monopolistischer Konkurrenz zwischen den Skigebieten manifestiert. Die internationale Reise- Industrie hingegen ist von Standardisierung, großen Konzernen, Konzentrationsprozessen und oligopolistischer Konkurrenz geprägt. Dadurch findet dort ein Innovationswettbewerb statt.
Das Beispiel Serfaus-Fiss Ladis zeigt: Kooperation ist eine Grundvoraussetzung für Innovationen. Foto: Serfaus-Fiss-Ladis Marketing GmbH, danielzangerl.com
Sie haben sieben Thesen zu Innovationen in alpinen Destinationen formuliert. Die erste besagt, dass in KMUs strategische Innovationsprozesse fehlen. Was läuft falsch?
Ideen gibt es genug – nur umgesetzt wer-den die wenigsten. Idealtypische Schritte werden oft nicht eingehalten, Ideen werden per Zufall oder mit Trial and Error umgesetzt. Zudem werden viele Innovationen nur imitiert, Patente sind dagegen selten. Innovation ist meist eine Frage von Lust und Laune, Projektgruppen gibt es kaum. Oft entscheidet der Unternehmer allein, die Mitarbeiter werden nicht eingebunden. Das ist immer auch eine Frage der Firmengröße.
Innovationen sind unternehmerabhängig?
Ja, die Innovation steht und fällt mit dem Unternehmer. In Tirol sind beispielsweise 92 Prozent aller Tourismusfirmen Familienbetriebe. Je nach Risikobereitschaft und Charakter der Entscheidungsträger werden Ideen schneller und erfolgreicher auf den Markt gebracht – oder auch nicht. Offene und sozial gesellige Unternehmer, die über den Tellerrand schauen und branchenübergreifend denken, zu-dem eine gewisse Willensstärke haben, sich aber dennoch als Teamplayer sehen, treiben Innovationen voran.
Ass.-Prof. Dr. Mag. Birgit Pikkemaat forscht am Institut für strategisches Management, Marketing und Tourismus der Uni Innsbruck.
Innovation ist bei neuen Seilbahnen oder Wellnesshotels ja durchaus gegeben.
Ja, das ist gegeben, aber es dominieren Entwicklungen in die Hardware, in Produkte und in die Technik. Jedoch fehlen Prozessinnovationen, etwa in Software oder Kundenzufriedenheit. Das kann etwa ein digitales Warteschlangenmanagement sein – oder auch nur eine Taschentuchbox an jeder Talstation. Der Gast sucht heute verstärkt Convenience und will einfache und rasche Anwendungen. Deswegen müssen Skigebiete das Feedback der Touristen ernst nehmen. Gespräche mit den Gästen ist oft die billigste Art der Marktforschung!
Wer kann – neben den Gästen – in Skigebieten noch Innovationen anstoßen?
Ganz klar die Einheimischen vor Ort. Eigentlich sind das ja „lästige“ Gäste, die keine Übernachtungen bringen. Aber diese kennen das Skigebiet oft besser als jeder Berater oder Marktforscher. Zudem sind auch die Stakeholder der Seilbahnunter-nehmen wichtige Innovationsquellen.
Wann ist nun eine Destination innovativ?
Innovation lässt sich wirklich schwer messen, Erfolge sind erst langfristig sichtbar. Grundsätzlich liegt Innovation im Auge des Betrachters. Bergbahner müssen sich fragen: Was ist neu? Wie neu? Und am wichtigsten: Neu für wen? Für ältere, wenig reisende Skifahrer kann eine beheizte Seilbahn durchaus noch innovativ wirken. Oft sind Innovationen nicht radikale Umbrüche, wie etwa das Snowboard, sondern kontinuerliche, kosmetische Veränderungen, wie die Dekoration der Skihütte. Das lässt sich nicht sofort im Umsatz ablesen – aber im langfristigen Erfolg der Destination.
Sie sind überzeugt, dass Kooperationen Innovationstreiber sind. Warum?
Wir konnten wissenschaftlich nachweisen, dass Kooperationen im alpinen Tourismus Grundvoraussetzung für Innovationen sind. In den Alpen sind wir von alles kontrollierenden ‚Walt Disney-Resorts‘ weit entfernt. Umso wichtiger ist die Zusammenarbeit aller Kräfte einer Destination, von der Seilbahn über Hotellerie und den Skischulen bis hin zur Politik und dem Alpenverein. Bestes Beispiel ist Serfaus-Fiss-Ladis. Deren Erfolg fußt im Wesentlichen auf Kooperation.
Die Seilbahnen bleiben dennoch die Innovationstreiber in den Tälern?
Die Bergbahnunternehmen sind die Leit-betriebe der Destination, da sie in der Regel über das größte Kapital verfügen und das strukturelle Herz einer Region bilden. Das trifft nicht nur auf große Bergbahnen zu, die sich hohe Investitionen in Technik und Komfort leisten können. Auch kleine Skigebiete können durch Atmosphäre, Preisgestaltung und geschickte Positionierung innovativ sein!
Das Interview führte Thomas Surrer im Anschluss an die IONICA 2020
7 THESEN ZU INNOVATIONEN IN ALPINEN DESTINATIONEN
These 1 | KMUs fehlen strategische Innovationsprozesse |
These 2 | Innovationen sind unterneh- mer- und familienabhängig |
These 3 | Innovationen im Produktbe- reich dominieren, es fehle oft Prozessinnovationen. |
These 4 | Locals und B2B Stakeholder sind zu wenig ausgenutzte Innovationsquellen |
These 5 | Innovationserfolge sind erst langfristig sichtbar |
These 6 | Kooperationen sind Innovationstreiber |
These 7 | Seilbahnen und Leitbetriebe sind Innovationstreiber |