Stadt
Die CO2-Bilanz am Seil
„Nicht jede umweltbewusste Idee ist auch nachhaltig. Die deutsche Stadt Düsseldorf hat etwa eine Umweltspur eingeführt und damit nur das Problem verschoben, der Stau ist länger geworden“ – mit diesem Beispiel begann Jörg Niemann, Professor für Wirtschaftsingenieurwesen, seinen Vortrag auf der Cable Car World.
Prof. Dr. Jörg Niemann
Prof. Dr. Jörg Niemann
Professor für Wirtschaftsingenieurwesen – Hochschule Düsseldorf
Seit 2012 ist Jörg Niemann Professor an der Hochschule Düsseldorf für das Lehr und Forschungsgebiet Wirtschaftsin genieurwesen mit Ausrichtung auf die Produktion im Fachbereich Maschinenbau und Verfahrenstechnik. Zudem agiert er als geschäftsführender Vorstand des interdisziplinären Forschungsinstitut FMDauto sowie Gründer des FLiXFor schungsstelle Life Cycle Excellence. Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich des Life Cycle & Services Managements sowie der Bewertung und Optimierung von Produktionssystemen durch Methoden des Lean Managements.
Nachhaltige Mobilität sei nicht so einfach, wie manch einer glaubt. Es gilt Aspekte, wie Landversiegelung, Verkehrsfluss, Wärmehaushalt, Grünflächen und Wohnumfeld zu berücksichtigen.
„Wir haben es mit einer komplexen Interaktion und Gewichtung unterschiedlicher Bedürfnisse zahlreicher Stakeholder zu tun“, betont Niemann.
Nachhaltigkeit messen
Angesichts der Komplexität urbaner Mobilität stellt sich daher die Frage, wie man die „Nachhaltigkeit“ verschiedener urbaner Transportsystememessen und bewerten kann.
Niemann stellte dazu eine Studie alternativer urbaner Transportsysteme in La Paz, Bolivien vor, die sein Institut zusammen mit der Doppelmayr Cable Car GmbH und der Denkstatt GmbH durchgeführt hatte.
Gesucht war die nachhaltigste Transportlösung. Die Aufgabe lautete, die Stationen „16 de Julio (El Alto) nach Estación Central (La Paz) mit öffentlichem Nahverkehr zu verbinden.
Vorgabe war eine Förderleistung von 2.000 Personen pro Stunde in beide Richtungen. „Als Betriebszeiten wurden im Schnitt 16,57 Stunden pro Tag, 365 Tage im Jahr und 30 Jahre Laufzeit angenommen“, so Niemann.
Betrachtet wurden große Busse, kleine Busse, Straßenbahn und Seilbahn. Die schnellste Straßenroute ist 12,4 Kilometer lang und dauert 18 Minuten, die kürzeste Straßenroute ist 5,8 Kilometer lang und dauert 20 Minuten. „Die Seilbahn benötigt dagegen nur 2,3 Kilometer Strecke und zehn Minuten Fahrzeit“, berichtet Niemann.
Betrachtungs- und Berechnungsrahmen
für die CO2-Bilanzierung über alle Lebensphasen. Bild: DOPPELMAYR
Lebenszyklus als Bezugsrahmen
Doch Nachhaltigkeit ist mehr als kurze und schnelle Wege. Um die Verkehrsmittel entsprechend vergleichen zu können, ist ein genormtes Life Cycle Assessment notwendig, also die Betrachtung der Lebenszyklen:
„Hier definieren wir Systemgrenzen, Systemleistungen und die Bewertungssystematik anhand des CO2-Fußabdrucks. Zudem beschaffen wir uns Daten zu den Input-und Outputflüssen eines jeden Verkehrsmittels“, erklärt Niemann.
Konkret wird der ganze Lebenszyklus des Verkehrsmittels betrachtet: Von der Materialphase über die Produktion der Infrastruktur und Fahrzeuge sowie der Auslieferung und Aufbau des Systems, bis hin zur Nutzung und Wartung der Fahrzeuge.
Zudem wird auch die End-of-Life Phase in den Blick genommen, also Demontage, Recycling und Entsorgung.
Der Unterschied
zwischen dem niedrigsten und höchsten CO2-Fußabdruck der betrachteten Verkehrsmittel beträgt ungefähr den Faktor 5.
Seilbahn: Unschlagbare CO2-Bilanz
Die Ergebnisse der Nachhaltigkeitsstudie am Beispiel La Paz lassen sich in drei Punkten zusammenfassen.
Zunächst tragen Konstruktion, Systemaufbau und Wartung eines Verkehrsmittels erheblich zu den Emissionen über den Systemlebenslauf bei.
Zweitens, sind die absoluten Emissionen der Systembereitstellung und Wartung einer Straßenbahn höher als die gesamten Emissionen einer Seilbahn über den Lebenszyklus hinweg.
Drittens beträgt der Unterschied zwischen dem niedrigsten und höchsten CO2-Fußabdruck der betrachteten Verkehrsmittel ungefähr den Faktor 5:
Am schlechtesten schneidet der Kleinbus ab, ihm folgen der große Bus und dieStraßenbahn. „An der Spitze steht die Seilbahn, ihr CO2-Fußabdruck ist unschlagbar“, betont Niemann.
Relative und Gesamtemissionen
Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Betrachtung der Gesamtemissionen eines Verkehrsmittels – und nicht nur die relativen Emissionen, etwa anhand der Passagierkapazitätskilometer.
„Diese Größe ist irreführend. Bevor Sie eine Straßenbahn gebaut haben, ist ihre Seilbahn schon 30 Jahre lang gelaufen und bereits demontiert“, sagt Niemann.
Nachhaltigkeit müsse ganzheitlich weitergedacht werden, ökologische, ökonomische und soziale Kriterien gilt es zu harmonisieren.
Zusammenfassung
Die Seilbahn zeigt einen signifikant niedrigeren CO2Fußabdruck im Vergleich zu den alternativen Transportsystemen für das definierte Szenario.
„Die Seilbahn ist somit eine sehr emissionsarme Option für Transportsysteme in urbanen Räumen“, resümiert Niemann.
Wichtig für den Vergleich der Verkehrsmittel sei die Festlegung- der „funktionellen Einheit” als Basisszenario und des Bilanzierungsrahmen aus Sicht des Lebenszyklus.
Zudem müssen die die Transporteinheiten und Berechnungssystematik vorab definiert werden. Denn Nachhaltigkeit hat viele Facetten, die umfassend betrachtet und harmonisiert werden müssen.