SI Urban 2/2023, Stadt
Entwicklung urbaner Seilbahnen
SI Urban: Wie sind Sie zum Thema urbane Seilbahnen gekommen?
Christoph Rittersberger: Zum einen durch persönliche Erfahrungen hierzulande und zuvor in Frankreich. Das hat mein Interesse an diesem Thema befeuert.
Zum anderen haben wir in unserer Unternehmensgruppe früh erkannt, dass wir für die Verkehrswende aktiv Lösungen anbieten müssen. Da waren urbane Seilbahnen bald auf unserem Radar. Ich habe mich intern erfolgreich um diesen Aufgabenbereich beworben.
Können Sie uns das Unternehmen TRANSDEV vorstellen?
Die TRANSDEV Group kommt ursprünglich aus Frankreich. Wir sind ein Betreiber für Personenmobilität im öffentlichen Nahverkehr. Weltweit sind wir in etwa 20 Ländern als Mobilitätsdienstleister aktiv.
Anfang 2019 erwarb die inhabergeführte Rethmann-Gruppe 34 % des Unternehmens. In Deutschland agiert jetzt die TRANSDEV GmbH am Markt als größter privater Anbieter für Busse sowie Regionalbahnen.
Befasst sich das Unternehmen mit allen Arten von Seilbahnen?
Wir sind systemoffen. Alles, was seilgezogen ist, kommt für uns als Betreiber in Frage. Aktuell sehen wir in Deutschland mehr Potential für urbane Luftseilbahnen für den öffentlichen Personennahverkehr.
Gleichwohl betreiben wir bereits Standseilbahnen wie in Le Havre (Frankreich) oder bald in Covilhã (Portugal).
Christoph Rittersberger
bei seinem Vortrag über multimodale Mobilität. © SI
Warum sind urbane Seilbahnen für das Unternehmen in Deutschland interessant?
Viele Städte kämpfen mit überlasteten Straßen und Nutzungskonflikten zwischen individueller und öffentlicher Mobilität sowie anderen Raumnutzungen. Urbane Luftseilbahnen verkehren in der Plus-Eins-Ebene und schaffen einen neuen konkurrenzlosen Mobilitätsraum.
Wir können mit Seilbahnen neue Kapazitäten schaffen, Ressourcen erschließen und einen Beitrag zur Lösung anbieten.
Was sind aus Ihrer Sicht die Vorteile von urbane Seilbahnen?
Seilbahnen sind schnell gebaut, kostengünstig und recyclebar bzw. auch zeitlich begrenzt nutzbar. Kein Verkehrsmittel kann besser Hindernisse überwinden.
eben infrastrukturellen Aspekten spielen verkehrliche Aspekte eine wichtige Rolle. Seilbahnen sind nach unserer Meinung besonders geeignet, um Lücken im ÖPNV-Netz zu schließen.
Was ist die Hauptreferenz von TRANSDEV, wenn es um Seilbahnen geht?
Bogotá in Kolumbien. Die Stadt ist sehr dicht besiedelt und hat große Höhenunterschiede. Ab 2012 wurde geplant eine Seilbahn zu bauen. 2018 wurde der Betrieb ausgeschrieben, auf den wir uns erfolgreich beworben haben.
Seither läuft die Seilbahn von DOPPELMAYR mit großem Erfolg und hoher Beliebtheit bei der Bevölkerung. Das System ist mit dem städtischen BRT-Bussystem verknüpft. Beides betreibt TRANSDEV mit einem Partnerunternehmen. Weitere Seilbahn-Linien sind angedacht.
Die Seilbahn in Bogotá, Kolumbien
ist mit dem städtischen BRT-Bussystem verknüpft und läuft mit großem Erfolg. © Doppelmayr
Paris soll die nächste Referenz werden…
Richtig! Der Großraum Paris ächzt seit Jahrzehnten unter der Verkehrsbelastung. Der ÖPNV ist sternförmig vom Stadtzentrum in die Randgebiete organisiert. Zwischen den Stadtteilen gibt es nur wenige Verbindungen. Seilbahnen können bestehende Stadtstrukturen überfliegen und nachträglich integriert werden.
Die erste Linie ist im Südosten geplant und wird von DOPPELMAYR gebaut. Gemeinsam mit der Compagnie des Alpes haben wir die Ausschreibung für den Betrieb gewonnen. Ab 2025 soll der Betrieb starten!
Wo liegen die Unterschiede zwischen Südamerika und Frankreich?
Südamerika ist weit weg, man braucht entsprechendes Personal und Partner vor Ort, um diese Märkte zu bespielen. In Frankreich ist TRANSDEV als Mobilitätsbetreiber bekannt und konnte seine Bereitschaft für den Seilbahn-Betrieb deutlich machen.
Gibt es Potenziale für TRANSDEV in Deutschland?
Es gibt eine Reihe von Interessenten an diesem Thema. Wir stehen diesen bereits im Ideenstadium zur Seite, um grundsätzliche Fragen abzuklopfen. Danach benötigt man eine externe Machbarkeitsstudie mit einem Systemvergleich.
Wir agieren sowohl in Städten ohne Verkehrsgesellschaft als auch in Kooperation mit bestehenden städtischen Verkehrsgesellschaften. Wir hoffen in Deutschland sowie auch in Frankreich in den kommenden Jahren weitere Seilbahnen betreiben zu können.
Interview: Dominik Berndt