SI Urban 1/2020, Stadt
Knoten und Weichen
Trotz Zwischenstationen sind Seilbahnen meist End-to-End-Anlagen. Für ein Seilbahnnetz im buchstäblichen Sinn braucht es also erst einmal sinnvolle Konzepte. Der österreichische Ingenieur Norbert Obermayr hat anhand von Linz und Liechtenstein solch ein System entworfen.
Weichen wie bei der Eisenbahn und Stationen wie ein Autobahnkreuz – das sind die grundlegenden Elemente der Idee, Seilbahnen in einem Netzwerk zu verbinden. „Es geht um die intelligente Nutzung der dritten Dimension“, bringt es Norbert Obermayr auf den Punkt.
Ziel ist es, von jeder Einsteigstelle zu jeder Aussteigstelle ohne Umsteigen zu kommen – und das bei geringen Investitions- und Betriebskosten, rascher Realisierbarkeit, geringem Flächenbedarf, möglicher Nutzbarkeit beste- hender Immobilien und hoher – dem Bedarf angepasster – Verfügbarkeit.
Was ist effektiv neu?
Dazu werden die Strecken über Bahnhöfe geführt, die seilbahntechnisch mit- einander verbunden sind (vergleichbar mit einem Autobahnkreuz). Eine intelligente Steuerung (Smart Control) führt die Gondeln über das Streckennetz und erfüllt Bahnhofsdienste. „Die Gondeln sind 24 Stunden am Tag und nach Bedarf verfügbar, der Betrieb erfolgt weitgehend personenunabhängig“, sagt Obermayr.
Das Grundkonzept
Grundsätzlich gilt, dass von jeder beliebigen Einstiegsstelle jede Station angefahren werden kann. Das Seilbahnnetzwerk besteht aus einzelnen Seilbahnsektionen, die durch Sackstationen (Beginn einer Strecke), Sternstationen (Streckenknoten) und Durchfahrstationen miteinander verbunden sind.
„Jede Station ist als Bahnhof abgebildet. Dort können die Passagiere barrierefrei ein- und aussteigen“, erklärt Obermayr. Die Anwahl der Destination erfolgt über ein einfach gestaltetes Display, auf dem die Stationen auf einer Karte lagegerecht (blindengerecht) eingezeichnet sind.
„Die Fahrgäste wählen Ziel, Personenanzahl ihrer Reisegruppe, Gepäckumfang und sperrige Gegenstände, wie Fahrräder, Rollstühle oder Kinderwägen. Eine intelligente Steuerung übernimmt dann die Routenplanung und stellt Transportsicherheit her“, so der Ingenieur.
Das Ticket wird durch eine persönliche Idenditätskarte mit Transponderfunktion gelöst (Ausweis, Versicherungskarte, Kreditkarte, Skikarte etc.). Die Kosten werden monatlich abgebucht oder vorab entrichtet und als Guthabenbetrag gespeichert.
Smart Control
Kernstück der gesamten Verkehrslösung ist eine intelligente Steuerung. Ist im Bahnhof eine Gondel verfügbar, fährt diese in den Zustiegsbereich. Ist keine Gondel verfügbar, wird eine Gondel aus dem nächsten Bahnhof angefordert oder eine „zufällig“ ankommende Gondel wird im Bahnhof ausgeschleust – sofern die gleiche Destination (Weg) angestrebt wird und genügend Platz vorhanden ist. Die Gondel „erkennt“ also, wie viele Personen in ihr sind und steuert damit die Zustiegsmöglichkeit.
Falls die Richtung nicht passt oder die Gondel voll ist, wird sie direkt zum nächsten Streckenabschnitt durchgeschleust. Die Steuerung erfolgt einerseits über die Bedarfseingabe bei der Station (Fahrgast meldet einen Transportbedarf an), andererseits über den unmittelbaren Fahrauftrag in der Gondel (Eingabe der Zielstation).
Es besteht die Möglichkeit, zwei oder mehr Stationen hintereinander anzufahren, wenn diese auf der gleichen Strecke liegen. Der wartende Fahrgast erkennt „seine“ Gondel anhand eines Aufrufs und/oder anhand einer Aufschrift. Durch die Eingabe einer zusammengehörenden Gruppengröße wird diese je nach Bedarf (Rush Hour) nicht getrennt, sofern die Gondelkapazität nicht überschritten wird.
„Apropos Stoßzeiten: Es gibt ein zeitliches Bedarfsprofil für jeden Bahnhof. Damit wird geregelt, dass in Zeiten höheren Beförderungsbedarfes laufend Gondeln nachkommen und so stets genügend Gondeln verfügbar sind“, betont Obermayr.
Rollenbatterie mit Raupenmantel
Die ca. 30 Quadratmeter großen Stationen sind laut dem Konzept möglichst in Ortskernen anzusiedeln, genauer auf bereits bestehenden Gebäuden, wie Parkhäuser oder Busbahnhöfe. Die Streckenführung erfolgt möglichst geradlinig, leichte Kurvengängigkeit wäre machbar.
Auf der Strecke werden Stützen aufgestellt, welche die Rollenbatterien tragen. „Die Rollenbatterien werden in Lärmschutzzonen mittels Raupenmantel überzogen. Dadurch entfällt das Ruckeln und damit auch der damit entstehende Lärm“, erklärt Obermayr eine kleine Idee innerhalb seiner großen Innovation.
Lastentransport mit Containern
Das Konzept des Seilbahnnetzwerks funktioniert aber nicht nur für die Personenbeförderung, sondern auch für den Lastentransport. Dazu wird statt der Kabine eine Traverse an der Seilbahnklemme befestigt, an der dann Container oder sogar Plattformen für Fahrzeuge andocken.
„Technisch sind Kleincontainer bis 1,5 Tonnen möglich, die in Lastenbahnhöfen von der Seilbahn aufgenommen werden“, ist der Ingenieur überzeugt. Die „letzte Meile“ könnte mithilfe von Elektro-Transportern bestritten werden.
Ausblick
Noch ist das Konzept von Norbert Obermayr (office@obermayr-ec.com) nur eine Idee, doch der Ingenieur hofft auf Partner in Politik und Wirtschaft, die ihn bei einer Machbarkeitsstudie unterstützen. So prüft bereits die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft ihre Unterstützung, auch Politiker und Medienvertreter haben sich das Konzept schon angesehen. Und vielleicht überzieht bald ein Seilbahnnetz Linz, Liechtenstein oder einen anderen Ballungsraum.