Mehr Akzeptanz für urbane Seilbahnen

Zumindest in Europa sind Bürgerinitiativen gegen urbane Seilbahnen schnell gegründet. Die Muster und Verhaltensweisen wiederholen sich.

Wie dies geschieht und welche Instrumente Behörden und Politik nutzen können, zeigte Ulrich Arndt, Leiter der Stabsstelle für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung des deutschen Bundeslandes Baden-Württemberg, auf dem Kongress Cable Car World.

Damit urbane Seilbahnpläne in der Bevölkerung akzeptiert werden ist eine dialogische Bürgerbeteiligung notwendig – davon ist Ulrich Arndt überzeugt.

Im Gegensatz zur direkten Demokratie, in der das Stimmvolk selbst entscheidet, bestimmen bei der dialogischen Bürgerbeteiligung Behörden und Parlamente weiterhin den Ausgang eines Projektes; die Bürger haben zuvor aber ein Mitspracherecht.

„Das Beispiel des Brexits zeigt uns, dass die Bürgerbeteiligung der bessere Weg ist“, so Arndt in seinem Vortrag auf der Kongressmesse Cable Car World.

Dialogische Bürgerbeteiligung ist nicht zu verwechseln mit Öffentlichkeitsbeteiligung, betont Arndt:

„Die Öffentlichkeitsbeteiligung erfordert Betroffenheit und eigenes Interesse und ist eine reine Anhörung. Die dialogische Bürgerbeteiligung setzt dagegen keine Betroffenheit vorausund dient der Meinungsbildung!“

Gefahr der Eskalation

Wird die Bevölkerung spät oder gar nicht in urbane Seilbahnprojekte eingebunden, drohen – wie wohl bei jedem Infrastrukturprojekt – eine Eskalation der politischen Debatte und eine Explosion der Kosten.

„Mit früher Bürgerbeteiligung wird zwar sofort Unruhe gestiftet, danach fällt die Erregungskurve aber ab, da die Diskussion differenziert geführt wird und die Kostenentwicklung steuerbar ist“, sagt Arndt. Er konnte fünf wesentliche Erfahrungen und Muster feststellen:

Ulrich Arndt

Leiter der Stabsstelle für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung Baden-Württemberg

Ulrich Arndt ist Leiter der Stabsstelle der Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung im Staats­ministerium Baden­-Württemberg. Das Bundesland hat mit der „Politik des Gehörtwerdens“ von Ministerpräsident Kretschmann seit 2011 einen Schwerpunkt auf die Bürgerbeteiligung gelegt. Zusammen mit enger wissenschaftli­cher Begleitung war es möglich, die Bürgerbeteiligung in Baden­-Württemberg massiv auszubauen.

1. Handlungsoptionen schaffen

Zunächst erfordert Bürgerbeteiligung Handlungsspielräume, nur Informieren ist zu wenig. „Der Begriff ,Alternativlos‘ war schon einmal das deutsche Unwort des Jahres“, bringt es Arndt auf den Punkt.

Werden dagegen Handlungsoptionen geschaffen – etwa durch am Projekt beteiligte Ingenieure – wird das Risikoempfinden in der Bevölkerung gemindert.

„Beginnen Sie die Debatte aber nie mit Experten-Erkenntnissen und verkünden Sie auch im Verfahren keine Meilensteine“, empfiehlt Arndt.

Zufallsbürger

wirken der „False Balance“ in der Debatte entgegen. Foto: Land Baden-Württemberg

2. Versteckte Motive

Ein großes Problem in der Diskussion um Infrastrukturprojekte sind die versteckten Motive der Beteiligten.

So wird oft der Naturschutz vorgeschoben, obwohl die Angst vor Veränderung die eigentliche, treibende Kraft ist.

„Die vier Klassiker sind Grundstückswerte, Gesundheitssorgen, das Landschaftsbild und die historische Vorbelastung“, sagt Arndt. Nebenschauplätze mit Gutachterschlachten gilt es daher unbedingt zu vermeiden.

3. Kommunikation

Entsprechend überlegt muss das Projekt und das Verfahren kommuniziert werden. Vier Erfolgsfaktoren konnte Arndt feststellen. Erstens, ein sensibler Umgang mit „Groß-Begriffen“.

„Sprechen Sie lieber vom Neubau der Halle 10 anstatt von einem Großprojekt“, gibt Arndt ein Beispiel.

Zweitens sollte Bürgerbeteiligung konkret sein und sich auf Streitthemen konzentrieren. Nur dann ist sie relevant.

Drittens sollte auf die „False Balance“ regiert werden, also die übermäßige mediale Berichterstattung zugunsten der Bürgerinitiativen.

„Bürgerforen mit zufällig ausgewählten Teilnehmenden können helfen, ein ausgeglicheneres Meinungsbild in den Medien zu erreichen“, so Arndt.

Viertens sind Grafiken zum geplanten Projekt essentiell. Korrekte Renderings nehmen Horrorbildern der Bürgerinitiativen – etwa mit übergroßen Stützen und riesigen Seilbahnstationen – den Wind aus den Segeln.

Foto: DOPPELMAYR

4. Akteure

Wie eine Akteursanalyse ergab, sind die größten „Gegner“ der dialogischen Bürgerbeteiligung oft Bürgerinitiativen und Umweltverbände.

Grund ist deren Rollenverständnis als „Jury“, ihr Lobbyismus dient als Daseinsberechtigung.

„Die dialogische Bürgerbeteiligung relativiert ihre bisher in den Medien hervorgehobene Stellung – das gefällt den Bürgerinitiativen und Umweltverbänden natürlich nicht“, sagt Arndt.

An ihre Stelle treten Zufallsbürger. Die per Los ausgewählten Personen erhöhen den Anteil von Frauen, Jugendlichen, Migranten und stillen Gruppen.

„In die Diskussion treten also Menschen ein, die am bisherigen Streit nicht beteiligt sind – und nicht nur die besonders engagierten Männer über 60“, erklärt Arndt mit einem Schmunzeln.

Die Zufallsbürger ergänzen die schon gesetzten organisierten Akteure, sie wirken deeskalierend und relativieren die Inanspruchnahme des „Gemeinwohls“ durch einzelne Akteure.

Neue Ideen – nicht „die Üblichen“ – fließen so in die Debatte ein, die vermeintliche Distanz zwischen Volk und Politik sowie die False Balance werden überwunden. Videokonferenzen helfen, die Schwelle zum Mitmachen zu verringern.

5. Antwortfähigkeit

Die dialogische Bürgerbeteiligung wirkt als Resonanzraum, mit ihr kann Rechenschaft abgelegt und Antworten können abgestimmt werden.

„Vielleicht wird das Ergebnis – etwa der Bau einer Seilbahn – von manchen nicht akzeptiert. Aber mit dem bis dahin erfolgten Verfahren stimmen sie überein“, sagt Arndt.

Entscheidend ist hier die Antwortfähigkeit von Politik und Behörden. Sie ist die andere Seite des Gehörtwerdens; anstelle der Verlautbarung tritt dieKommunikation.

„Lassen Sie sich sehen, telefonieren Sie mit den Bürgern und hören Sie zu. Paraphrasieren Sie deren Anliegen in Briefen und geben Sie an Eingabe orientierte, freundliche Antworten.“