SI Urban 2/2023, Tourismus
Digital nachhaltig werden
Mehr Konsum, mehr Nachfrage, mehr Verkehr, mehr Energie- und Materialverbrauch – es scheint, dass die Digitalisierung dem Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit zuwiderläuft. Man denke nur an die Paketschwemme durch den Onlinehandel.
Doch die Digitalisierung kann auch ein Hebel für mehr Nachhaltigkeit sein. Wie die beiden Megatrends vereint werden können zeigt Christian Marheine von der Universität St. Gallen mit Zahlen, Fakten und Beispielen.
Der Forscher am Lehrstuhl „Digital Strategy, Transformation and Innovation“ von Professorin Andrea Back, verweist zunächst auf den Stellenwert der Kombination von Nachhaltigkeit und Digitalisierung in der Wissenschaft.
„Seit 2017 ist der Umfang der Publikationen, die sich mit diesem konvergenten Interesse beschäftigen, um jährlich 83 Prozent gestiegen“, sagt Marheine. Fünf Anwendungsbereiche fallen hier auf: Smart Factory, Smart Grid, Smart Building, Smart Agriculture und Smart Mobility
Christian Marheine
Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität St. Gallen
Nachteil der Digitalisierung
So gut diese Begriffe auch klingen – sie sind zunächst ein zweischneidiges Schwert. „Rund vier Prozent der globalen CO2-Emissionen entstehen durch die Digitalisierung“, sagt Marheine.
Die Produktion und Nutzung der Endgeräte ist etwa im deutschprachigen Raum für die Hälfte des digitalen CO2-Fußabdrucks verantwortlich, die Rechenzentren für 30 Prozent und die Netze für zwanzig.
„Denken Sie nur an die steigende Zahl an Sensoren, die Kühlung der Server und den Stromverbrauch der WLAN-Netzwerke“, so der Forscher
Chancen der Digitalisierung
Trotz Nachhaltigkeitsrisiken überwiegen laut Marheine die Vorteile der Digitalisierung durch Dematerialisierung und Effizienzgewinne. Dazu werden die Kerntechnologien Internet of Things, Cloud Computing, Künstliche Intelligenz und Blockchain eingesetzt.
„So würden beispielsweise durch das Autonome Fahren rund 20 Prozent der bisherigen Automobilflotte für die gleiche heutige Transportleistung genügen. Die Industrie 4.0 könnte wiederum 50 Prozent Energie einsparen – durch Vernetzung der physischen und digitalen Welt“, bezieht sich Marheine auf verschiedene Quellen und Studien.
Mit Green IT könnten auch die Informations- und Kommunikationstechnologien besser genutzt werden – über den Lebenszyklus hinaus. Das entspricht ganz dem Gedanken der Kreislaufwirtschaft: Weniger Material, weniger Karbon, dafür mehr modulare Produkte für geringeren Verbrauch und Wiederverwendung von Ressourcen.
„Der Wandel von Produkten zu digitalen Services enthält ökologisches Potenzial auf Seiten der Anbieter“, so der Forscher. Im besten Fall könnten digitale Technologien 41 Prozent der nötigen CO2 Emissionseinsparungen des deutschen Klimaziels bis 2030 beitragen, zitiert Marheine die Bitkom-Studie 2021:
„Hier ist die Geschwindigkeit entscheidend, je schneller wir digitalisieren, desto besser!“
Anwendungen in Städten
Nicht nur weil die Politik Druck macht, entwickelt sich Nachhaltigkeit zunehmend zur Schlüsselzielgröße von (kommunalen) Unternehmen neben Umsatz und Profit bei der digitalen Transformation. Die Potenziale der Digitalisierung liegen in fünf Anwendungsbereichen.
Mit Smart Mobility lassen sich wiederum die Fahrkilometer des kommunalen Fuhrparks reduzieren. Dazu setzen Stadt- und Verkehrsbetriebe künftig intelligente Logistik, Verkehrssteuerung und Routing ein.
Smart Grids verbessern das Zusammenspiel von Energieerzeugung und -verbrauch. Die intelligenten Stromnetze bringen etwa Photovoltaik auf öffentlichen Gebäuden und die Rekuperation bei urbanen Seilbahnen unter ein Dach.
Strom lässt sich zudem durch Smart Building sparen, so Marheine: Dabei werden Energieprozesse in Seilbahnstationen und anderen öffentlichen Gebäuden datenbasiert überwacht und automatisch gesteuert.
Für Städte und Kommunen wohl weniger interessant – aber der Vollständigkeit halber erwähnt – wird Smart Agriculture künftig für eine zukunftsfähige Landwirtschaft gebraucht. Hier wird die Bodenwirtschaft und Nutztierhaltung durch digitale Präzisionssysteme effizienter.
Drei konkrete Schritte
Doch wie können kommunale Unternehmen nun Digitalisierung und Nachhaltigkeit verheiraten?
„In der Praxis hat sich der Dreischritt bewährt. Am Anfang steht die Definition des Nachhaltigkeitsproblems, es folgt die Auswahl der digitalen Werkzeuge und dann das Messen und Managen der Maßnahmen“, berichtet Marheine.
Konkret sollten zuerst die Nachhaltigkeitsziele formuliert werden, etwa Emissionsreduktion, Energieeffizienz und grüner Strom, sowie Kosteneffizienz. „Fragen die sich anschließend, ob die Digitalisierung die Lösung ist – und wenn ja, welche Technologie helfen kann“, sagt der Forscher.
Die Bandbreite reicht hier von Sensorik über künstliche Intelligenz bis zu Blockchain. Nach der Implementierung sollten Zielerreichung und Reboundeffekte geprüft und Lösungen quantifiziert werden.
Wurde direkte Effizienz durch mehr Nutzung oder indirekte Effizienz durch mehr Konsum erzielt? „Wir von der Uni St. Gallen unterstützen hier gerne und helfen bei der digitalen Transformation für mehr Nachhaltigkeit“, so Marheine abschließend.
Fazit
- Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammendenken: Wir müssen digitale Technologien als Werkzeug so gestalten und ihr Potenzial nutzen, dass sie nachhaltig sind und wirken.
- Geschwindigkeit der Digitalisierung entscheidend für den Nachhaltigkeitsbeitrag: Bei beschleunigter Digitalisierung können positive Effekte um etwa 40 Prozent erzielt werden.
- Digitalisierung als Hebel für Nachhaltigkeitsziele und Wettbewerbsvorteil nutzen: Digitalisierung kann Wirtschaftswachstum mit Umwelt und Klimaschutz vereinen.
- Entscheidungsträger in Unternehmen müssen entschieden handeln: Neben politischen Rahmenbedingungen braucht es unternehmerische Eigeninitiative.